Sienna
Als Aidan den Wolf die Klippe hinunter stieß und kurz darauf hinterhersprang, sah ich mich noch einmal misstrauisch um, ehe ich Aidan folgte. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Es ließ sich erahnen, dass dieser fremde Vampir nichts Gutes im Schilde führte. Ein penetranter Geruch stieg mir in die Nase und ließ mich meinen Gedankengang vorzeitig beenden. Es roch wie Blut, doch nicht so, wie ich es kannte. Irgendwie alt und abgestanden. Als ich wenige Meter hinter Aidan auf der Lichtung zum Stehen kam, war der Geruch noch viel intensiver als zuvor. Angewidert verzog ich das Gesicht und schaute mich um, um heraus zu finden, woher dieser beißende Geruch kam. Dabei fiel mir auf, dass nicht nur auf der Lichtung ein Holzpfahl in der Erde steckte, sondern vereinzelt überall im Gestrüpp und zwischen den Bäumen welche zum Vorschein kamen. Beim genaueren Betrachten bemerkte ich, dass an ihnen geronnenes Blut klebte. Mein Blick wanderte hinunter zum umgegrabenen Waldboden. Als ich verstand, was das alles zu bedeuten hatte, fuhr ich mir reflexartig mit der Hand vor den Mund. Mit einem Mal war mir so unglaublich übel und dieser Geruch von Verwesung schien von Sekunde zu Sekunde unerträglicher zu werden.  "Ich glaube, ich muss gleich brechen." bemerkte ich kaum hörbar, als sich vorlauter Ekel schon meine Nackenhaare aufstellten. Es musste schrecklich gewesen sein, was hier mit den Menschen passiert war. Doch viel mehr Angst bereitete mir die Tatsache, dass dies ein Vampir zu verantworten hatte und ich mich selbst überhaupt nicht unter Kontrolle hatte. Ich verurteilte so ein grausames Verhalten, aber woher konnte ich mir sicher sein, nicht irgendwann selbst so etwas zu tun? Aidan war schließlich nicht immer an meiner Seite, um aufzupassen, dass ich keinen Unfug anstellte.

Sienna
Ich blieb regungslos stehen bis Aidan auf meine Worte reagierte und mich in eine Umarmung zog. "Schon okay, du konntest es ja nicht wissen." murmelte ich leise in sein Shirt, während ich dem Druck seiner Hand nachgab und meinen Kopf gegen seinen Oberkörper lehnte. Einen Augenblick verweilte ich in seinen Armen, ehe ich leicht nickte. "Ein zweites Mal musst du mich nicht darum bitten." sagte ich schließlich. Ich löste mich von Aidan und trat einen Schritt zurück, wobei ich ihn mit einem schwachen Lächeln bedachte. Aidan war einfach nie aus der Fassung zu bringen und das beruhigte mich in vielerlei Hinsicht.

Sienna
Während wir aus dem Wald heraus liefen, kreisten meine Gedanken weiterhin um das, was ich gerade gesehen hatte. Mir war ja schon immer mulmig zu Mute gewesen, wenn ich solche Szenarien in Filmen gesehen hatte, obwohl dort natürlich alles gestellt und nicht wirklich passiert war. Allerdings war dieses Szenario echt gewesen. Dort hatten echte Menschen ihr Leben gelassen. Es mussten einige gewesen sein, so wie es dort auf der eigentlich schönen und friedlichen wirkenden Lichtung ausgesehen und gerochen hatte. Allein wegen diesem unerträglichen Gestank, war mir für heute die Lust am Jagen vergangenen. Selbst das Verlangen nach Blut war völlig verstummt und das obwohl ich schon seit ein bis zwei Tagen keinen Tropfen zu mir genommen hatte. Als wir am Haus ankamen, brach Aidan endlich das Schweigen und holte mich somit vorerst wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Aidan, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du kannst nichts dafür, dass andere so etwas tun." antwortete ich noch immer nachdenklich gestimmt. Ich fragte mich, wie Menschen oder generell Wesen in der Lage waren, so viel Leid und Schmerz zu verbreiten. Ich wusste ja selbst nur zu gut, dass Vampire ihren Blutdurst nicht im Griff hatten, aber irgendwann und irgendwie musste man doch in der Lage sein, sich kontrollieren zu können. Oder war das einfach nur naives Wunschdenken? Ich war so in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich erst nach einigen Sekunden bemerkte, dass Aidan meine Hand losgelassen hatte und bereits über den Zaun gesprungen war. Ich machte es ihm gleich und landete sicher auf der anderen Seite, dann sah ich fragend zu ihm hinüber. "Und was machen wir jetzt?"

Sienna
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht." antwortete ich schlicht und ließ meinen Blick durch die Gegend schweifen. Ich hatte wirklich keine Ahnung was wir machen konnten. Zu mal ich auch nicht wirklich Lust hatte überhaupt etwas zu tun. "Nichts tun, das wäre mal was." gab ich leise von mir, ehe ich mich von Aidan abwendete und zurück ins Haus ging.

Sienna
Auf seine Frage erwiderte ich ein Nicken, welches er jedoch nicht sehen konnte. Aidan mochte bessere Sinne und magische Kräfte haben, aber durch Wände gucken konnte er wohl trotzdem nicht. "Jap, so hatte ich mir das vorgestellt." rief ich daher und wartete, als ich hörte, dass Aidan mir folgte, im Flur auf ihn. "Wenn du irgendeinen deiner Filme zum 1001. Mal noch einmal anschauen möchtest, gerne." meinte ich und deutete mit dem Kinn auf das Regal mit den DVDs. "Such dir einen aus. Vielleicht findest du ja einen Film, den du bisher nur 200-300 Mal gesehen hast." fügte ich grinsend hinzu. Unsterblich zu sein hatte seine Vor- und Nachteile, wie man schon bei solchen Kleinigkeiten feststellen konnte. Es konnte von Vorteil sein, alle möglichen Filme zu kennen, aber ich persönlich könnte niemals einen Film mehrmals anschauen, außer er gefällt mir richtig gut. Doch selbst dann hätte ich spätestens nach dem 5. Mal keine Lust mehr, den Film ein weiteres Mal anzuschauen. "Was wolltest du vorschlagen?" fragte ich, als Aidan mitten in seinem Satz abbrach.

Sienna
Während ich inmitten des Wohnzimmers stehen blieb, folgten meine Augen Aidan. Er wählte irgendeinen Film aus und legte diesen anschließend ins Laufwerk. "Nein, vermutlich nicht." stimmte ich nachdenklich zu. Ein wenig neugierig, wie der lebendige Teil der Umgebung aussah, war ich allerdings schon. Als Aidan die Schuhe hinaus in den Flur schmiss, schüttelte ich darüber amüsiert den Kopf und ging stillschweigend in Richtung Flur, um unsere Schuhe dort ordentlich abzustellen, damit keiner darüber stolpern konnte. Wobei das wohl nur mir passieren konnte.. Ich war eindeutig die tollpatschigere von uns beiden. "Vielleicht können wir ja ein anderes Mal gehen?" schlug ich vor, während ich aus meinen Schuhen schlupfte und diese mit den Füßen an die Wand schob, ehe ich mit Aidans dasselbe tat.

Sienna
"Einer von uns muss ja für Ordnung sorgen." erwiderte ich grinsend, obwohl wir beide wussten, dass ich diejenige war, die es nicht so mit der Ordnung hatte. Vor allem, wenn es darum ging, die Klamotten ordentlich zu veräumen. "Vermutlich besser so." meinte ich und ließ mich aufs Sofa fallen, ehe ich es mir bequem machte, in dem ich den Großteil des Sofas für mich in Anspruch nahm. Welchen Film wir anschauten, war für mich eher nebensächlich. Hauptsache, ich kam mal wieder ein wenig runter und konnte etwas normales tun. Etwas, was Menschen auch taten.