Aidan
Ich lächelte. Sie hatte Recht, wenn wir es direkt anpacken würden, wären wir eher fertig. Ich atmete einmal tief durch, legte die Tasche zur Seite und sah mich um. Das Haus an sich war zwar keine Reliquie meiner Vergangenheit, doch an den Geruch dieses Waldes erinnerte ich mich nur zur gut. Ich schnaubte leise und durchsuchte dann das Haus nach Reinigungsmitteln und sonstigem. Tatsächlich hatte Livia, die alte Haushälterin, schon alles bereitgestellt. Ich stellte den Kram im Wohnzimmer ab und begann dann, die Schutzfolien von sämtlichen Möbeln zu ziehen. "Willst du lieber putzen oder staubsaugen?" fragte ich Sienna dann.

Aidan
Mit einem belustigten Funkeln in den Augen schnaubte ich. "Schätzchen, ich lebe seit 8 Jahrhunderten alleine. Ich weiß wie man putzt." erwiderte ich mit einem besserwisserischen Unterton, schnappte mir aber trotzdem den Staubsauger und begann, die Staubschichten aufzusaugen. Der Staubsauger war unangenehm laut, vor allem deshalb, weil ich auf den Wald lauschte.

Aidan
Nach einiger Zeit und mehrfachem Ausleeren des Staubsaugers war ich endlich fertig. Ein Mensch wäre vermutlich erschöpft aufs Sofa gefallen, doch ich war kein Mensch. Ich blieb stehen, noch immer lauschend auf die Geräusche des Waldes. Auf was wartete ich denn? Dass er einfach so herspaziert kam, wenn ich gerade mal 3 Stunden hier war? Sehr unwahrscheinlich. Er würde warten. Das war das, was er am besten konnte. Abwarten, Zeiten kommen und gehen lassen. Und dennoch hatte er Recht gehabt. Mit den Jahrzehnten verkam das Ganze immer mehr zu einem Spiel. Was waren schon ein paar Menschen hier und dort? Nichts, wenn man bedachte, wie viele es auf der Erde gab und schon gegeben hatte. Irgendwann würden sie sich eh gegenseitig vernichten. Da war es nicht so schlimm, wenn man ab uns zu ein paar Familien ausradierte... Verärgert unterbrach ich meine Gedanken. Ich war zu weit weg von Menschen. Immer wenn das geschah, verlor ich immer mehr mein menschliches Wesen. Das letzte Mal... Nein ich wollte nich daran denken. Sienna zuliebe musste ich die menschliche Maske wahren.

Aidan
Sienna riss mich aus meinen Gedanken. Ich brauchte einen Moment, bis ich realisierte, was sie fragte. Ein weiteres Zeichen, dass ich zu sehr in der Vergangenheit gegraben hatte und vor allem das fürchtete, was sie mir wieder in den Weg werfen würde. "Ach, ich hab mich nur an einen alten Bekannten erinnert." erwiderte ich. Hallo menschliches Ich! Na wie geht's, lange nicht mehr gesehen! Wenn man mein menschliches Ich denn überhaupt noch als Bekannten bezeichnen konnte. Wieder wallte Verärgerung in mir auf. Ich lebte seit ca 805 Jahren so und nie hatte ich Gewissensbisse gehabt. Warum in letzter Zeit so viele? Lag es daran, dass Sienna mich an das Gute erinnerte? An den gutherzigen, rechtschaffenden jungen Mann, der ich einst gewesen war? Ein Brennen im Hals löste mich aus der mentalen Falle, in der ich hockte. Ich brauchte Blut. Klar, ich hatte in Rom massig Blut zu mir genommen, doch seit dem Auftrag waren auch wieder einige Tage vergangen und ich hatte ja auch nicht still gesessen. Entschieden zog ich meine schwarze Sweatshirtjacke aus. Ich wollte sie nicht unbedingt versauen. Bei dem schwarz-weiß karierten Hemd war mir das egal. "Ich gehe jagen, kommst du mit?" fragte ich meine Freundin dann.

Aidan
Ich lächelte schwach und lief zur Vordertür. Dann lief ich in einem lockeren Laufschritt am Haus entlang und sprang über die hohe Mauer, die das Grundstück begrenzte. Dort wartete ich auf Sienna. "Soll ich dich begleiten oder willst du alleine gehen?" fragte ich dann und hoffte, sie würde alleine gehen wollen.

Aidan
Ich nickte und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Gute Jagd, Liebling." flüsterte ich dann, bevor ich losrannte und im Wald verschwand. Nach kurzer Zeit fand ich einen Wolf. Er stand auf einer Erhöhung. Direkt vor ihm fiel das Gelände steinig und steil ab, bis es das Flussbett bildete. Ich schlich vorsichtig an ihn rann, die Muskeln zum Zerreißen gespannt. Dann katapultierte ich mich nach vorne, direkt in den Nacken des Tieres. Er kämpfte, von Panik ergriffen, doch mein Griff war eisern und meine Zähne unerbittlich. Ich hatte noch nicht alles Blut getrunken, als eine Stimme ertönte. "Wie tief bist du gesunken?" höhnte sie. Ich fuhr herum, bedachte den Sprecher mit einem düsteren Blick aus rot glimmenden Augen. "Glaubst, ein Menschenmädchen könne deine Seele retten. Du bist verloren. Und jetzt versteckst du das Monster, das ich geschaffen habe, vor ihr." Ein kaltes, hartes Lächeln umspielte meine Lippen. Ich sah dem alten, runzligen Mann in die jungen roten Augen. "Wer glaubst du zu sein, dass du über mich richten kannst?" fragte ich abweisend. Er lachte. Dieses vertraute, harsche, irre Lachen. "Du erinnerst dich doch noch an die Stelle?" fragte er mit von Erinnerungen geprägter Stimme. "Natürlich. Da vorne im Fluss hast du mich hingeworfen. Darauf gewartet, dass ich in meiner Blutlust das Heer ausrotte, das deine Heimat durchquerte. Das Heer, das ich meine Freunde nannte." Ich erblickte den unnatürlich geformten Stein. Er sah aus, als hätte etwas ihn mit gewaltiger Kraft auseinandergebrochen. Ich war es gewesen, im Moment meines Erwachens.

Aidan
Als Sienna dazustieß, warf ich einen vorwurfsvollen Blick zu meinem Erschaffer. Doch er war fort. Wie immer. Verdammtes Arschloch! Immer musste ich seine Fehler ausbaden. Ich schnaubte missbilligend, sah dann aber zu Sienna. "Schon gut, bevor jetzt eine Standpauke ausbricht: Ich wusste, dass er noch lebt und ich wusste, dass ich ihn früher oder später treffen würde. Dass das jetzt sein würde, konnte ich nicht ahnen." verteidigte ich mich und starrte wieder herab zu dem Felsen. Erinnerungen kochten in mir hoch. Dieses leise Zischen meiner Haut, die aufgrund der Sonneneinstrahlung begonnen hatte, sich aufzulösen. Ich hatte versucht, mich aus dem Wasser hochzudrücken, aus der Sonne zu entkommen, doch der Stein hatte nachgegeben, war zersplittert. Mit äußerster Mühe hatte ich es ans Ufer, in die Schatten, geschafft, nur um kurz später das mittlerweile allzu vertraute Brennen im Hals zu verspüren. Es trieb mich zu unglaublichen Gewalttaten, auf die es noch immer Zeichen in diesem Wald gab.