Sienna
"Sag mir bitte, dass das nicht dein ernst ist." bat der alte Vampir mich, während ich vor dem Spiegel stand und die Kontaktlinsen heraus nahm. Meine Augen brannten jedes Mal, wenn ich die farbigen Kontaktlinsen trug. Es war als ob mein Körper sich dagegen sträubte, dass ich mein Vampirdasein versteckte. Ich überlegte einen Augenblick. "Stimmt, ich könnte das Sicherheitspersonal am Eingang und jeden, der mir über den Weg läuft, direkt mit ausschalten. Das gäbe zwar eine riesen Schweinerei, aber bestimmt auch eine Eilmeldung im Fernseh." sprach ich, während ich Ciarán mit meinen eisblauen Augen beobachtete. "Was meinst du? Ein Massaker oder lieber ein hübsches Engelsgesicht im Abendkleid, das etwas mit ihren Fähigkeiten spielt?" Fragte ich Ciarán, ehe mir ein amüsiertes Lächeln über die Lippen huschte. "Ich mach doch nur Spaß." sagte ich schließlich. "Ich habe nur eine Zielperson. Kollateralschaden gibt es bei so Sachen natürlich immer, aber ich möchte so wenig Außenstehende wie möglich mit reinziehen." Ich hatte seit der Trennung von Aidan viel Zeit damit verbracht, mich mit meinen Fähigkeiten auseinander zu setzen, sie zu verstehen und zu kontrollieren. Besonders an der Manipulation hatte ich Gefallen gefunden. Bei Menschen war es mittlerweile eine Leichtigkeit, doch ich musste auch darauf gefasst sein, dass Jäger und andere Wesen bei der Gala anwesend sein würden.

Sienna
Nach dem Ciarán und ich alles noch einmal durch gegangen waren und wir uns in Scharle geworfenen hatten, hatten wir uns mit Kian und seiner Gefährtin Enya getroffen. Sie waren alte Bekannte von Ciarán und unterstützten uns heute Abend. Ich würde keinem der drei mein Leben anvertrauen, aber ich konnte ein paar helfende Hände gebrauchen. Enya verfügte ebenfalls über die Fähigkeit, ein Element zu kontrollieren. In ihrem Fall war es Feuer, passend zu ihrem lockigen, feuerrotem Haar und dem dunkelroten Abendkleid. Die beiden Männer trugen eher unauffällige Anzüge und Lederschuhe. Ich hatte mir die Haare hoch gesteckt und mich in das bodenlange Kleid geworfen. Es hatte einen V-Ausschnitt, goldene Applikationen an Schulter und seitlich an der Taille sowie ein Schlitz am linken Bein. Ich hatte das Kleid schon immer gemocht, doch mit der blassen Haut wirkte es noch viel eleganter als früher. Uns war ohne große Komplikationen der Einlass gewährt worden. Drinnen teilten wir uns in zwei Pärchen auf, um uns erst einmal einen Überblick über die Gäste und das Sicherheitspersonal zu verschaffen. Ciarán legte seinen Arm um meine Taille und zog mich näher an sich, während wir uns durch die Menschenmenge bewegten. Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihn von mir zu stoßen und zuzuschlagen. "Du weißt, dass ich deine Aura lesen kann, oder?" fragte er schon fast amüsiert über meine Reaktion. "Entspann dich. Sonst kauft uns keiner ab, dass wir ein glückliches Ehepaar sind, das heute Abend ein paar tausender für einen guten Zweck spenden möchte." hauchte er so leise, dass ich es fast nicht hören konnte, obwohl ich unmittelbar neben ihm stand. Wo er recht hatte, hatte er recht. Erneut schluckte ich meinen Ärger runter, dachte an mein Vorhaben und lächelte den Vampir entzückt an. "Natürlich, mein Schatz."

Sienna
Ich prägte mir alle wichtigen Details ein und plauderte angeregt mit Ciarán, der sich für heute Abend extra frisch rasiert hatte. Auch seine schwarzen Zottel hatte er mir zu liebe kürzer geschnitten, damit wirkte er einfach jünger und seriöser. Vereinzelt waren am Bart und in den Haaren ein paar graue Härchen zu finden, was ihn irgendwie noch attraktiver machte. Ich verstummte, als ein Mann auf der Empore das Wort ergriff. Es war Pedro Yakavetta. Der Mann, dem ich heute meine vollste Aufmerksamkeit schenken würde. Ich musterte ihn eingehend, ehe ich seine beiden Begleiter betrachtete. Sie würden ihn vermutlich den ganzen Abend nicht aus den Augen lassen, weswegen wir sie wohl auch unschädlich machen mussten. Wer war bloß auf die Idee gekommen, dass die beiden Sonnenbrillen tragen sollten? Ich wollte mich schon darüber lustig machen, als ich den größeren der beiden erneut analysierte. Obwohl das halbe Gesicht durch die Brille verdeckt war, kamen mir diese weichen Gesichtszüge und das markante Kinn bekannt vor. Dann dämmerte es mir. "Das darf jetzt nicht wahr sein.." entfuhr es mir. Was machte Aidan hier? Seit wann war er im Personenschutz tätig? Normalerweise war er doch immer derjenige gewesen, der für gegenteilige Aufträge zuständig war. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde hatte er es geschafft, mich völlig aus dem Konzept zu bringen. Die Entschlossenheit wurde nun überschattet von Sorge und Angst. Auch wenn wir nicht mehr liiert waren, wollte ich auf keinen Fall, dass Aidan etwas zu stieß. Ich wusste, dass er ein hervorragender Kämpfer war und gut auf sich aufpassen konnte. Allerdings hatte ich Kian und Enya damit beauftragt, die Zielperson zu töten, egal was es kostete. Ich kannte die Vampire nicht. Ich wusste nicht wie gefährlich sie ihm werden konnten. "Was ist los?" wollte Ciarán wissen. Er hatte den schlagartigen Umschwung meines Zustands wohl sofort gesehen. Ich schluckte schwer. "Ich kenne den linken Bodyguard." sagte ich leise und senkte den Blick. Ciarán beobachtete mich genaustens. Ich hasste es, wenn er mich wie ein Buch las und sofort wusste, was ich fühlte. "Du liebst ihn." stellte er erstaunt fest. Ich wollte schon den Mund aufmachen und widersprechen, als er beide Hände auf meine Schultern legte. "Du bereitest dich schon seit Jahren darauf vor. Reiß dich zusammen und zieh das gefälligst durch." Ich nickte. Ciarán hatte recht. Aidan hatte seinen Job zu erledigen und ich meinen. Die Frage war nur, wie ich an Yakavetta ran kommen sollte, wenn Aidan für seinen Schutz zuständig war? Yakavetta hatte seine Rede inzwischen beendet und wurde von den beiden Herren aus dem Saal begleitet. Ich wusste, dass im rechten Seitenflügel ein kleineres Nebenzimmer war. Vermutlich würden sie ihn dorthin bringen. Als Ciarán und ich uns einen Weg zur Tür bahnten, bat ich ihn mir etwas Vorsprung zu lassen und mir in 1-2 Minuten mit Kian und Enya nach zu kommen. Ich verließ den Hauptsaal und bog rechts ab. Direkt kamen zwei Securitymänner in Sichtweite, die links und rechts im hinteren Teil des Flurs positioniert waren. "Entschuldigen Sie Ma'am, für Gäste ist hier kein Zugang." sagte der eine und trat einen Schritt nach vorne, als ich mich ihm näherte. "Oh, ich dachte, hier wären die Toiletten." antwortete ich und sah mich um. "Nein Ma'am, die Toiletten befinden-" Bevor er den Satz beenden konnte, schlug ich ihm gezielt auf den Kehlkopf. Als er nach Luft ringend zu Boden ging, zog ich ihm den Taser aus dem Holster und verpasste dem zweiten Mann, der sichtlich überrascht über meinen Angriff war, einen Stromschlag. Wegen der Sicherheitskontrollen am Eingang war es uns unmöglich gewesen, unsere eigenen Waffen mitzubringen, weswegen ich den beiden bewusstlosen Männern ihre abnahm und sie an die drei Vampire, die sich inzwischen zu mir gesellt hatten, verteilte. "Dann sorgen wir mal für ein bisschen Chaos." sagte ich, ehe ich ein Feuerzeug aus meiner schwarzen Clutch holte und es Enya zu warf. Es wäre leichtsinnig, den Nebenraum zu stürmen, ohne zu wissen wie viele Leute darin waren und wo sie positioniert waren. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass Aidan und sein Kollege gut bewaffnet waren. Wenn wir nicht reingehen konnten, mussten sie eben raus kommen.. und was war dafür besser geeignet als ein kleines Feuer und eine Massenpanik? Es war erstaunlich mit was für einer Leichtigkeit die Rothaarige die kleine Flamme wachsen ließ. Ich beobachtete fasziniert, wie die Flamme immer größer aufloderte und sich verfärbte. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, doch es dauerte in Wahrheit nur wenige Sekunden bis die Vampirin die Vorhänge angesteckt hatte, sich Rauch bildete und der Feueralarm runter ging. Unmittelbar danach konnte ich eine Unruhe im Hauptsaal wahrnehmen. Obwohl das Sicherheitspersonal die Gäste bat, Ruhe zu bewahren, verfielen die ersten bereits in Panik. Enya war konzentriert und versuchte das Feuer relativ klein zu halten. In erster Linie sollte es nur zur Ablenkung dienen. Ich wusste nicht, ob der Nebenraum noch einen anderen Eingang hatte, doch ich wusste, dass sie das Gebäude früher oder später verlassen würden und es dann schwierig sein würde, Überblick über die Situation zu bewahren. Der Rauch, der sich mittlerweile ausgebreitet hatte, war dichter und dunkler geworden. Für einen Menschen war es wohl unmöglich weiter als 3 Meter zu sehen. So mussten wir uns immerhin keine Sorgen um menschliche Angreifer machen..

Sienna:
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Aidans Stimme direkt in meinem Kopf zu mir sprach. Bei dem Gedanken, dass er mit Hilfe des anderen Vampirs in meinen Kopf herumschwirren konnte, erschauderte ich angewidert. Als er sagte, dass sie mich nicht verschonen würden, grinste ich belustigt. Ich hatte nichts anderes erwartet, nach dem ich Aidan vor einigen Monaten ohne Erklärung sitzen gelassen hatte. Zu mal er einen Ruf und mit Sicherheit auch viel Geld zu verlieren hatte. Ich sah, wie Kian urplötzlich aus meinem Sichtfeld verschwand, als Yakavettas Männer die Tür auftraten und das Feuer eröffneten. Ich konnte nur anhand der Umrisse und Geräusche erahnen, dass der Vampir sich in den Nebenraum teleportiert hatte, dem unbekannten Menschen die Halsschlagader durchtrennte und Aidans Kollege von hinten angriff. Ich kam aus meiner Deckung hervor und feuerte im Laufen das halbe Magazin auf den Blumentopf, hinter dem Aidan stand. Die Kugeln würden ihn schon nicht umbringen und selbst wenn.. er hatte es selbst darauf angelegt. Immerhin hätte er mir Yakavetta auch einfach aushändigen können. Ich verschwand hinter einer der Säulen, die die Decke im Flur stützten. Mein Blick wanderte kurz zu Enya, die eine Kugel abbekommen hatte und nun hinter einer der Säulen Schutz suchte. So schmerzerfüllt wie die rothaarige Vampirin das Gesicht verzog, vermutete ich, dass die beiden Männer Silberkugeln verwendeten. Mit etwas Sorge beobachtete ich das Feuer, das nun aufgrund ihrer Wut und ihrer Schmerzen unkontrolliert wuchs.

Sienna
In Gedanken ging ich alle möglichen Fluchtwege durch. Durchs Fenster würde der Vampir nicht mit Yakavetta abhauen, sonst hätten sie diese Möglichkeit schon früher in Betracht gezogen und hätten eine direkte Konfrontation vermieden. Einen anderen Ausgang konnte ich so ebenfalls ausschließen. Da blieben nur noch die Lüftungsschächte.. Als Aidan seinem Kollegen zur Hilfe eilte, nutze ich die wenigen Sekunden, um mich mit Ciarán abzusprechen. "Er versucht Yakavetta durch die Lüftungsanlage rauszubringen. Finde sie und sorg dafür, dass sie das Gebäude nicht verlassen!" wies ich Ciarán an. Er nickte und wandte sich zum Gehen in die entgegengesetzte Richtung. "Und Ciarán, lass ihn am leben." mahnte ich den Vampir. Ich wollte mich selbst um Yakavetta kümmern. Ein Schuss ließ mich aufhorchen. Vermutlich hatten sie Kian erwischt. Als ich das Geräusch von selbstsicheren Schritten vernahm, atmete ich tief durch umd legte den Kopf in Nacken. Ich spürte, wie es in meinen Fingern kribbelte und die blauen Augen sich dunkel verfärbten. Meine Gefühle und Gedanken waren wie weggeblasen, so wie immer, wenn ich mich voll und ganz auf meine Fähigkeiten einließ. Als Aidan seine Stimme erhob, entwich mir ein hartes Lachen. Er dachte wirklich, dass ich ihn wegen eines anderen verlasssen hatte? "Eifersüchtig?" erwiderte ich sichtlich amüsiert und trat hinter der Säule hervor. Die zuvor ordentlich hochgesteckten Haare, hatten sich inzwischen gelöst und lockten sich um mein blasses Gesicht. Ich legte meinen Kopf leicht schief, als ich den Mann, den ich einst so sehr geliebt hatte, beobachtete. Würde er versuchen mich zu töten? Er konnte sein Glück ja versuchen..

Sienna
Mit Bedacht näherte ich mich Aidan, dessen Körperhaltung Entschlossenheit und Selbstsicherheit ausstrahlte. "Ethan sucht viele Vampire." erwiderte ich und zuckte mit den Schultern, ehe ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Ich vernahm viele Schritte und Stimmen, die sich von uns entfernten. Allerdings nahm ich die Geräusche nur noch gedämpft war. Es schien, als würde die Zeit langsamer vergehen, gar stehen bleiben. "Ich hatte nichts anderes erwartet." antwortete ich schließlich gelassen und blickte auf die Klinge des Messers in meiner Hand hinab. Mir war bewusst, dass ich Aidan im Nahkampf deutlich unterlegen war. Ich war mittlerweile zwar besser geworden, aber mein Können würde nicht ausreichen, um an Yakavetta zu kommen. Ich würde wohl zu unfairen Mitteln greifen müssen.