Aidan
Eine weitere Begegnung mit meinem lieben Freund fand zum Glück nicht statt. Ich hatte noch ein Reh erlegt und sein Blut getrunken, danach war ich einfach ziellos durch den Wald gestreift. Vermutlich sollte ich zurück nach Hause. Sienna wartete bestimmt schon auf mich. Jedoch beeilte ich mich nicht sonderlich. Ich hatte ja schließlich Zeit und etwas Zeit für sich würde Sienna bestimmt auch ganz gut tun. Als ich über den Zaun setzte, spürte ich bereits, dass etwas nicht stimmte. Meine Vermutung wurde bestätigt, als ich Sienna beim Packen sah. "Wo willst du hin?" fragte ich direkt, nicht unbedingt barsch, aber doch bestimmt. Was hatte ich verpasst?

Aidan
Ich brauchte einen Moment, um das zu realisieren und das kam seltenst vor. "Nein. Sienna, du kannst jetzt nicht zurück." antwortete ich entschieden. "Die Jäger sind da überall auf Achse! Du kommst da nicht heil raus!" warnte ich sie entgeistert. Es war einfach kaum vorstellbar, dass sie sich freiwillig in diese Gefahr begab. "Wir können Ethan und Mira mal herholen. Aber du kannst nicht nach Cork zurück!"

Aidan
Sämtliche Regungen froren in meinem Gesicht ein. Das zog sie nicht ehrlich ab gerade, oder? Ein Schnauben entfuhr ihm. "Son bisschen schon, ja, immerhin ist es der reinste Selbstmord!" gab ich zurück, schon dezent angepisst. Ihr Verhalten empfand ich als extrem undankbar. Ich hatte so oft alles getan um sie zu schützen und zu retten und nun marschierte sie einfach so in die Höhle des Löwen? "Du kannst nichtmal einen Jägerlehrling bezwingen!" setzte ich hinzu. Ihre Fähigkeiten im Kampf waren nunmal was Jäger und Vampire betraf, bescheiden, zumindest aus meiner Sicht.

Aidan
Ihre Worte weckten ein verärgertes Gefühl in mir. "Gut, dann geh, wenn du meinst, dich umbringen zu müssen." antwortete ich leise, gefährlich kühl. Ich würde nicht mehr hier sein, wenn sie zurück kam. Sollte sie denn jemals zurückkommen... Ich sah nicht sonderlich viel Hoffnung in ihrem Unterfangen, was auch immer das sein sollte. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und trat aus Wohnzimmer hinaus. Ohne nochmal zurückzuschauen, verließ ich das Haus und sprang über den Zaun. Ich brauchte meinen Freiraum. Auch wenn ich es nicht zeigte, ich war zutiefst verletzt.

Aidan
Fluchend lief ich durch den Wald. "Ich kann nicht hier bleiben. Es geht einfach nicht." äffte ich Sienna wütend nach. Meine Faust krachte gegen einen Baum und hieb ein Loch hinein. Es tat nicht mal weh! Noch wütender als zuvor stapfte ich weiter. "Ich gehe zurück, ob du damit einverstanden bist oder nicht, interessiert mich ehrlich gesagt herzlich wenig." fuhr ich fort, traf ihre Tonlage jedoch nicht mehr so wirklich. Dazu hatte sich die Wut viel zu sehr meiner Stimme bemächtigt. Auch mein nächster Schlag brach mühelos durch den Felsblock, den ich mir ausgesucht hatte. Immerhin tat es dieses Mal wenigstens ein kleines bisschen weh. Der nächste Baum fiel einer Tackle zum Opfer und stürzte um. "Dafür hab ich sie so oft gerettet? Dafür habe ich so viel auf mich genommen? Hah, dass ich nicht lache. Soll mir nochmal einer sagen, Frauen sind gute Wesen!" Ich fluchte erneut lautstark los, ohne mich dafür zu interessieren, ob irgendwer zuhörte. Ich trat an einen Teich und sah hinein. "Nie wieder. Nie WIEDER!" Ich schleuderte einen Stein in mein Spiegelbild und begann, auf der kleinen Lichtung auf und ab zu gehen. Hin und wieder flogen noch kleine Gegenstände, begleitet von meinem Fluchen, doch ich hörte auf, den Wald abzuholzen. Stattdessen murmelte ich leise vor mich hin. Ein Wutschrei folgte und dann stürzte doch noch ein weiterer Baum um.

Aidan
Ein Lachen ließ mich herumfahren. Es war er. "Ich habe es dir gesagt. Alles nur ein Spiel." Ich knirschte mit den Zähnen. Er hatte Recht. Ich hatte es mit meiner Weigerung es einzusehen nur wieder verloren. Ich schnaubte, er lachte. "Wehr dich nicht. Du hast dich 800 Jahre dagegen gewehrt, langsam reicht es." War da sowas wie Fürsorge in der Stimme des alten Monsters zu hören? "Ich bin nicht wie du." gab ich leise zurück. Er lachte erneut. "Nein, das bist du nicht. Aber du und ich, wir teilen das selbe Schicksal. Ich weiß wie es dir geht. Und weißt du was? Trifft dich mit Andrew. Das tut dir bestimmt mal ganz gut." Bevor ich was erwidern konnte, war er verschwunden. Es war tatsächlich Fürsorge gewesen. Und der alte Kauz hatte Recht: Ein bisschen Zeit mit Andrew war vielleicht ganz gut.

Aidan
Ich hatte Andrew in Amsterdam getroffen und seitdem wohnten wir wieder gemeinsam. Es war angenehm, Andrew kannte mich seit einer halben Ewigkeit und keiner von uns musste sich irgendwie verstellen. Aktuell befanden wir uns am Strand und liefen barfuss durch den Sand. Die Dünen waren verlassen, das Wetter war für einen menschlichen Strandbesuch einfach zu bescheiden. "Also, du bist einfach abgehauen, als sie nicht wiederkam?" fragte Andrew. Ich knirschte mit den Zähnen und nickte. "Ja. Sie wollte ja abreisen und ich werde nicht meinen Kopf riskieren, um ihre unmöglichen Wünsche zu erfüllen. Ich weiß auch gar nicht, warum sie so überstürzt abreisen wollte. Wir hätten ihre Familie auch zu uns holen können." Verständnislos schüttelte ich den Kopf. "So viel zum Thema "Unsterbliche Liebe"" scherzte Andrew. "Aber tröste dich, es war immer noch eine bessere Lovestory als Twilight!" Ohne dass er es kommen sah, schlug ich ihm gegen die Rippen und beförderte ihn damit in die nächste Sanddüne. "Ok ok ist ja gut." hörte man aus dem Sand und er buddelte sich wieder raus. Während er sich den Sand abklopfte und die blonden Stehhaare richtete, musterte er mich. "Ich verspreche, dich nicht wieder damit aufzuziehen." schwor er dann und sah dann aufs Meer hinaus. "Hey, siehst du das?" fragte er und deutete auf den Horizont. Ein Wasserfontäne schraubte sich in den Himmel. "Ein Wal?" fragte ich und sah ihn skeptisch an. "Oh nein, komm jetzt nicht auf dumme Ideen!" murrte ich, doch zu spät. Er hatte bereits sein Oberteil ausgezogen und in den Sand geworfen und war ins Wasser gestürmt. "Verdammt, die stehen unter Naturschutz!" rief ich ihm hinterher. "Komm du Spaßbremse! Das ist die erste interessante Beute seit 200 Jahren!" schrie er. Ich schüttelte den Kopf, lächelte aber schwach und zog ebenfalls das Oberteil aus und warf mein Handy und den Autoschlüssel in den Sand, bevor ich ihm nachstürmte. Wale jagen, soweit kam's noch.

Aidan
Kurz später stellte sich heraus: Vampire waren nicht dazu geschaffen, Wale zu jagen. Zumindest nicht ohne Hilfsmittel. Obwohl es sich nur um eine Gruppe Schweinswale handelte, setzten sie uns ordentlich zu. Andrew würde später so einen Ärger kriegen... Mit Müh und Not schafften wir es, ein Kalb von der Gruppe zu isolieren und schließlich auch zu erlegen. Wirklich gelohnt hatte sich das aber nicht. Da war mir ein einfaches Reh oder so lieber. Doch Andrew schwärmte auf dem Heimweg noch immer von dieser ach so spannenden Jagd. Ich bemühte mich eher in meiner nassen Jeans nicht allzu komisch zu laufen, immerhin klebte der Stoff extrem an meinen Beinen, sodass das nicht gerade einfach war. Als wir dann endlich zuhause waren, zog ich mich erstmal um, bevor ich duschen ging. Ich wollte das Salz und das Blut aus meinen schwarzen Haaren kriegen. Dabei fuhr ich beiläufig mit der Hand durch mein Gesicht. Rasiert hatte ich mich schon länger nicht mehr, doch ich achtete darauf, dass der Bart gepflegt aussah. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, lümmelte Andrew bereits auf der Couch und mümmelte auf einem Chip rum. "Was machen wir?" fragte er, als ich mich in den Türrahmen lehnte. Ich zuckte die Achseln und setzte mich auf einen der Ledersessel. Ohne auf seine Frage zu achten, nahm ich meinen Laptop und überprüfte meine Mails. "Ich bin demnächst für ein paar Tage weg." kündigte ich an. "Wieder ein Job?" fragte Andrew gelangweilt nach. Ich nickte. "In Dublin. Ist vielleicht nicht gerade das sicherste Pflaster, aber ich brauch das Geld."