Lagertha
Ragnar nickte nach einer Weile. "Besser so. Er hätte dich vermutlich zu den Göttern geschickt und das wäre ein sehr unnötiger Verlust. Wir kriegen diesen Mistkerl schon früher oder später..." Mit diesen Worten stand er auf und verließ das Lagerfeuer. Da es langsam dunkel wurde, ging Lagertha davon aus, dass Ragnar ins Haus gehen würde. Sie wandte sich zu ihrer Schwester. "Ich gehe zu Bett. Mach nicht zu lange, ja?" sagte sie und folgte ihrem Mann.

Eirik
Der aufgehende Mond reflektierte auf der stillen Wasseroberfläche. Eirik hockte auf einem Felsen hoch über den Baumwipfeln. Der Wind verfing sich immer wieder in seiner Kleidung und drohte, ihn in die Tiefen zu reißen, wo er auf den Felsen unten im Wasser aufschlagen würde. Doch Eirik hatte keine Angst. Wenn die Götter entschieden, ihn zu sich zu holen, dann konnte er eh nichts dagegen tun. Alles war besser, als durch einen Ausrutscher seinen Ruf hier zu verlieren und von allen gejagt zu werden. Das war auch der Grund, warum Eirik nach hier oben geflohen war. Er hatte gespürt, dass sich der Drache in ihm regte. Er wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis er das nächste Mal die Kontrolle verlor. Das Lied hatte aus ihm wieder eine wilde Bestie gemacht und ihn all die Kontrolle gekostet, die er über die Jahre gesammelt hatte. Und nun war wieder der Kampf zwischen Mensch und Biest ausgebrochen, den Eirik bereits sein ganzes Leben kämpfte. Das Rauben und Plündern half ihm dabei. Es stillte den Drang nach Gewalt, den der Drache spürte, ohne dass er völlig außer Kontrolle geriet. Sein Blick glitt über die Bucht auf die Lichter der Siedlung. Dort unten war das Mädchen, dass ihm den Kopf verdreht hatte. Kurz überlegte er, sie einfach zu entführen. Doch das war für sie beide nicht gut. Er sollte sie vergessen, doch er konnte nicht. Sie war... anders. Hoffentlich wurde sie seinetwegen nicht bestraft. Wut brodelte in ihm auf. Warum? Warum sorgte er sich um sie? Sie war seine Feindin... Ein wütendes Schnauben entglitt ihm. Er spürte einen Ruck in sich. "Verdammt..." war das letzte was er heraus brachte, bevor es seinen Körper quasi zerriss. Schmerz flammte überall auf, während sein Körper seine Form änderte. Schuppen bildeten sich auf seiner Haut, Hände würden zu Klauen. Aus seinem Rücken brachen Flügel hervor. Der Stein war nicht groß genug für den riesigen Drachen. Während er wuchs, verlor er den Halt und stürzte kopfüber auf die Felsen zu. Rauschend kam das Wasser näher, doch Eirik konnte sich nicht bewegen. Panik keimte in ihm auf. So konnte er nicht sterben. Er würde schwer verletzt in den Wellen liegen und ertrinken. Und davor fürchtete er sich. Plötzlich kehrte die Kontrolle über seinen Körper zurück. Im allerletzten Moment riss er die Flügel auf. Der Druck riss ihm beinahe die Gelenke aus den Pfannen, doch er schaffte es, sich wieder in Richtung des Himmels zu manövrieren. Verdammt. Er war ein Drache und mitten über der Bucht. Und trotz der Dunkelheit und seiner schwarzen Schuppen für einen wachsamen Beobachter vermutlich sehr gut zu erkennen.

Eirik
Mit einigen kräftigen Flügelschlägen versuchte er, sich in die Wolken zu manövrieren. Allerdings erwischte er promt ein Luftloch. Ohne den nötigen Auftrieb, stürzte er herab wie ein Stein. Der Drache war eindeutig aus der Übung. Vermutlich dachte er zu viel darüber nach, was genau er da eigentlich tat. Doch es war Jahre her, dass er das letzte Mal bewusst geflogen war und ein wohliges Kribbeln raste durch seinen Bauch. Doch die Wasseroberfläche, die immer näher kam, holte ihn zurück in die Realität. Kurz zögerte er, doch dann legte er die Flügel an und neigte sich nach vorne zu einem vollständigen Sturzflug. Als er sie wieder öffnete, bremste sich sein Sturz abrupt, doch Eirik hatte nicht mit dem Ruck in den Gelenken gerechnet. Unsanft wurde er aus der Bahn gebracht und er verlor die Kontrolle. Die Bäume auf der Landzunge kamen immer näher und er wusste, dass es keine Rettung mehr gab. Er würde abstürzen. Und zwar rasant. Äste brachen, als er durch die Baumkrone fiel und kräftig auf dem Boden aufschlug. Ein schmerzerfülltes Brüllen brach aus seinem Maul hervor, bevor er sich daran erinnerte, dass er ja leise sein musste. Also schloss er lediglich die Augen und legte den Kopf vorsichtig auf einem Stein ab. Er konnte nicht aufstehen. Schmerz wogte durch seinen Körper und solange er sich nicht bewegen konnte, wäre eine Verwandlung tödlich. Also musste er hoffen, nicht entdeckt zu werden. Sonst wäre sein Schicksal besiegelt.

Eirik
Schwer atmend wartete er, während seine Wunden langsam, aber stetig heilten. Er spürte, wie sich die Knochen in dem gebrochenen Flügel richteten und wie das Fleisch an seinen Rippen langsam nachwuchs. Als er Schritte hörte, wollte er den Kopf heben, doch es war zu anstrengend. Mit einem schmerzerfüllten Seufzen legte er ihn also wieder auf dem Stein ab und versuchte, aus dem Augenwinkel die Quelle der Stimme zu erkennen. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass er die Stimme kannte. Es war Brenna. Mit einem leichten Knurren bleckte er die rasiermesserscharfen Zähne und versuchte, Brenna mit seinen eisblauen Augen zu fixieren, was jedoch mehr schlecht als recht gelang. Was machte sie hier? Sie sollte Angst haben und weg laufen! Wie eigentlich immer, wenn sie sich begegneten. Doch dieses Mädchen schien völlig furchtlos! Er hoffte nur, dass sie ihn nicht an seinen Augen erkannte. Die Farbe war ziemlich genau die gleiche, wie er als Mensch auch hatte. Die Farbe, die auch Ragnar Lothbroks Augen zeigten. Erneut knurrte er und schnaubte, wobei leichte Rauchwolken aus seinen Nüstern stiegen. Mehr konnte er jedoch nicht tun in seinem jetzigen Zustand.

Eirik
Als sie trotz seiner Drohgebärden näher kam, resignierte er. Das Mädchen war stur wie ein Ochse. Eine echte Schildmaid halt eben. Mit einem Seufzen ließ er den Kopf locker und blickte gen Himmel, bevor er wieder zu ihr hinüber schielte. Noch immer war er völlig entkräftet, sodass er den Kopf möglichst bequem liegen ließ. Warum sorgte sie sich um ihn? Er hatte ihr Dorf in Schutt und Asche gelegt und ihre Freunde getötet. Tatsächlich interessierte ihn das brenndend. Also hob er langsam den Kopf und drehte ihn zu ihr. Mit großen blauen Augen musterte er sie und legte etwas den Kopf schief, wobei er ein relativ hohes Brummen erklingen ließ. Es klang fragend, verwirrt. Plötzlich ertönte ein Knacken. Der verletzte Knochen im Flügel war wieder an die richtige Stelle gesprungen. Erleichtert strecke Eirik die Schwinge durch, bevor er sie - nun völlig schmerzfrei - auf dem Rücken zusammenfaltete. Fehlten nur noch die Verletzungen an Brustkorb und Vorderbein und er konnte sich vom Acker machen.

Eirik
Als sie einfach noch näher kam, zog er die Stirn Kraus. Vorsichtig stubste er sie mit den Nüstern an, weg von seiner Verletzung. Dann erhob er sich mit einem tiefen Brummen auf seine Beine. Ein Zischen ertönte, als das siedend heiße Drachenblut aus der Wunde zu Boden tropfte. Er wusste nicht, was sein Blut für Auswirkungen auf Menschen hatte, weshalb er sie lieber außer Reichweite hielt. Kurz wanderte sein Blick zum Himmel. Es müsste nun kurz vor Mitternacht sein. Eirik sollte eigentlich längst seine Wache angetreten haben. Doch er konnte sich weder zurückverwandeln noch konnte er so fliegen. Er musste also warten, bis er geheilt war oder bis Brenna ging. Kurz streckte er sich, wobei die Flügel an seinem rücken raschelten, bevor er wieder zu dem Mädchen sah. Erneut legte er den Kopf schief. Ob sie ihm wohl erzählen würde, warum sie hier war?

Eirik
Ein wenig rätselnd betrachtete der Drache das Mädchen, bis sie das Wort ergriff. Wie ein Hund setzte er sich auf die Hinterläufe und hörte ihr geduldig zu. Hin und wieder legte er den Kopf ein wenig schief, als würde er über ihre Worte nachdenken. Mit Erleichterung stellte er fest, dass seine Wunde an der Seite nun auch vollständig geschlossen war. Doch einfach abhauen und das Mädchen alleine lassen, konnte er jetzt auch nicht. Vorsichtig bewegte er seinen Kopf auf ihren zu, bis er sie sanft mit der Nase an der Stirn berührte. ~Vielleicht bist du auch einfach weniger voreingenommen, als die anderen.~, bemerkte er in seinen Gedanken. Das war die einzige Möglichkeit, wie er als Drache kommunizieren konnte. Er brauchte einen Körperkontakt und sein Gegenüber musste sich darauf einlassen. Gut, Brenna wusste nicht, was sie erwartete, doch auch so funktionierte es. ~Ich werde nun heimkehren. Danke für deine Gesellschaft. Pass auf dich auf, Brenna Hlínstochter.~ Seine Stimme war tief, deutlich tiefer als in Menschengestalt, doch die Intonation war ähnlich. Da er ihren vollen Namen nicht kannte, verlieh er ihr einfach einen Titel. Tochter von Hlín, der Schützerin der Menschen. Wirklich drüber nachgedacht hatte er nicht, doch er empfand den Namen als sehr passend. Dann zog er seinen Kopf zurück und sah sie ein letztes Mal an, bevor er die mächtigen Schwingen ausbreitete und sich mit donnernden Flügelschlägen in die Luft erhob, um nach Hause zurück zu kehren.

Lagertha
Nebel stand über Kattegat und bedeckte das fast schon schwarz wirkende Wasser mit einem Teppich aus weißen Wölkchen. Die Männer warfen das letzte Bündel an Bord. "Siggy, pass gut auf meine Kinder auf." warnte Ragnar die ältere Frau und drückte Gyda und Bjorn zum Abschied einen Kuss auf die Stirn, bevor er zu Lagertha an Bord kam. Das Langboot sollte sie nach Norden bringen, in die Ländereien von König Horik, mit dem es ein Bündnis zu besprechen gab. Suchend sah die blonde Schildmaid sich nach ihrer Schwester um, während sie ihren Schild zu den anderen an die Schiffswand hängte. Sie fand Brenna unweit des Mastes. "Alles in Ordnung bei dir? Du wirkst seit Tagen ein wenig durch den Wind." Insgesamt fuhren nur wenige Leute mit. Die besten Krieger und Schildmaiden ihres Dorfs. Sie wollten kein Aufsehen erregen und außerdem Kattegat nicht ungeschützt zurücklassen. Das Boot stach in See. Sanft fasste Lagertha Brenna am Arm und zog sie mit zur Reling. Der Nebel gewährte nur eine minimale Sicht von maximal zehn Metern. Danach war die Welt wie abgeschnitten. Auch die Geräusche klangen wie unter einem großen Teppich. Lediglich die gedämpften Stimmen und das Plätschern des Wassers am Bug war zu hören.

Lagertha
Ein wenig fragend sah sie ihre kleine Schwester an. "Verrückt? Wieso das? Ist etwas nicht in Ordnung?" hakte sie nach, bevor sie ihren Blick wieder auf den See richtete. Sie glaubte im Nebel etwas blutrotes zu sehen und zögerte kurz. Doch es schien nur eine Einbildung gewesen zu sein. Da war nichts. Vielleicht spielten ihr die Götter nur einen Streich. "Du weißt, du kannst mir alles erzählen..."