Raik
Als keine Antwort kam, stand ich mit einem Seufzen auf und ging langsam auf sie zu, das Dörrfleisch hatte ich bereits aufgegessen. Direkt an der Grenze blieb ich stehen und hielt ihr das Brot auf der ausgestreckten Hand entgegen, wie man es üblicherweise bei Pferden machte. "Wehe, du beißt mich." kündigte ich an. "Ich beiße zurück und glaub mir, das tut weh." Außer Takkar konnte uns zum Glück niemand sehen. Wenn Vater davon erfuhr, würde er sich unglaublich aufregen. Auch in mir regte sich eine gewisse Abneigung, immerhin war sie eine von den anderen. Aber sie hatte mir nichts getan und wir hatten ausreichend Brot dabei, warum also nicht mit ihr teilen?

Raik
Ihr Gebiss beeindruckte mich herzlich wenig, was aber auch vielleicht einfach daran lag, dass ich unter Raubtieren großgeworden war und selber ziemlich lange Reißzähne hatte. Kurz zögerte ich noch, bevor ich zu Takkar zurückkehrte. "Gibt den anderen Bescheid, wir schlagen hier heute unser Lager auf. Der Rest soll sich in gleichmäßigen Abständen dazu positionieren." gab ich als Befehl. Der Krieger nickte und erhob sich. Er stieß einen ähnlichen Pfiff aus wie ich vorhin und sah sich dann um. "Wir sollten uns etwas in den Schutz der Bäume zurückziehen." meinte er. Ich schüttelte den Kopf. "Siehst du den Felsen da?" fragte ich und deutete auf einen großen Felsen, immer noch nah an der Grenze. Takkar nickte. "Wir nehmen den in den Rücken. Die Brombeeren seitlich schirmen uns von Flankangriffen ab." meinte ich und hob meinen Beutel auf. Der Stein war nicht weit entfernt, sodass ich die Hirschdame immer noch sehen konnte. Ich warf meine Tasche neben dem Felsen zu Boden und machte mich daran, altes Holz aufzuschichten. Dann zündete ich es an. Die Sonne sank bereits langsam und ich wollte hier nicht im Dunklen sitzen. Ich horchte auf, als ich Schritte hörte und zog mein Schwert. Doch es war nur Ties, der mit einem Hasen um die Ecke kam. "Hey, immer mit der Ruhe!" meinte der Krieger amüsiert und reichte mir den Hasen. "Wir haben recht viele gefangen und ich dachte mir, ihr könnt vielleicht noch was zum Abendessen gebrauchen." meinte er. Ich nickte ihm dankbar zu. "Danke, Bruder." sagte Takkar und schlug Ties begeistert auf die Schulter, als der Rotfuchs wieder ging. Sie hatten ihr Lager 2 Meilen weiter westlich aufgeschlagen. Takkar machte sich daran, eine Vorrichtung zum Braten des Hasen zu errichten, während ich wieder zu der Hirschdame hinübersah. "Raik, hast du Gewürze bei?" fragte Takkar. Ich nickte. "In meiner Tasche."

Raik
Als die Nacht hereinbrach, nahmen Takkar und ich unsere Tiergestalten an. Es war einfach wärmer und bequemer. Außerdem konnten wir so besser hören, wenn sich jemand näherte. In der Dunkelheut der Nacht war ich nahezu unsichtbar, vor allem als das Feuer heruntergebrannt war. Die Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle. Am nächsten Morgen hatte sich Tau in meinem Fell gesammelt, welches ich abschüttelte und damit Takkar weckte. Dieser murrte verärgert, erhob sich aber ebenfalls. Noch war es nichtmal ansatzweise hell, doch wir hatten immerhin eine Grenze zu bewachen. Ich streckte mich, nahm dann Menschengestalt an um unsere Sachen gut in den Dornen des Brombeerstraus zu verstecken und wurde dann wieder zum Tiger. Takkar und ich liefen die Grenze ab und suchten nach Spuren eines Grenzübertritts. Doch alles war ruhig. Unterwegs trafen wir auf die anderen, doch auch sie hatten nichts finden können. Alles in allem also eine friedliche Nacht. Takkar und ich kehrten zum Lagerplatz zurück und machten uns daran, das Frühstück herzurichten. Auf dem Weg hatte ich ein weiteres Kaninchen gefangen, welches nun zwischen meinen langen Reißzähnen hing, als wir an der Lagerstelle ankamen. Der andere Krieger nahm seine Menschengestalt an und nahm mir das Kaninchen ab, bevor ich meine Gestalt ebenfalls änderte. "Zum Frühstück gibt es also Brot und Kaninchen." murmelte Takkar. "Irgendwie habe ich ein Deja-Vú." Ich grinste. Kam schonmal vor, dass man in der Wildnis ein paar Tage lang das selbe zu Essen bekam. Und wir konnten uns definitiv nicht beschweren, das Brot war ausgezeichnet.

Raik
Ich hörte das Trommeln von Hufen und sah ein herrenloses Pferd in den Wald preschen. An der Grenze sah ich die junge Frau, die Hirschdame. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Das Pferd schien ihr zu gehören. "Warte hier." befahl ich Takkar, nahm Tiergestalt an und sprang mit einem Satz auf den Felsen. Dann sprang ich in das Gebüsch und umrundete das Pferd. Sollte ich es als Tier zu ihr scheuchen oder lieber als Mensch führen? Ich entschied mich für letzteres, ansonsten würde sie das Pferd wohl niemals einfangen. Auch wenn ich eine gewisse Abneigung gegen diese Tiere hatte, ging ich doch langsam auf es zu. Verängstigt hob es den Kopf. Ich hob beruhigend die Hände und redete auf es ein. "Hab keine Angst." Ich hatte nur vergessen, dass ich wahrscheinlich für das Pferd bestialisch nach Raubkatze stank. Entsprechend blähte es die Nüstern und wiehrte panisch. Ich nutzte die Chance, dass es kurz nicht zu mir sah und packte es am Zügel. Erst bockte es noch ein wenig, dann beruhigte es sich und ich konnte es zur Grenze führen. "Pass besser auf, wo dir deine Tiere hin entlaufen." meinte ich belustigt zu der Frau, als ich auf sie zukam. "Hier hat es niemand so mit Pferden." Als wollte das Tier meine Worte unterstreichen, riss es sich los und galloppierte zu der Frau. Ich blieb stehen, noch gut 20 Meter von ihr entfernt. "Was sag ich..." murmelte ich und verschränkte die Hände vor der Brust. Das Pferd schien mich nicht zu mögen. Traf sich gut, ich mochte es ja auch nicht.

Raik
Ein Kriegspferd? Davon hatte ich herzlich wenig gemerkt. Ich nahm ihren Dank mit einem knappen Nicken entgegen und wandte mich dann zum Gehen. Takkar wartete bestimmt schon auf mich und ich hatte Hunger. Kurz überlegte ich, ob ich ihr noch ein Stück Brot anbieten sollte, doch trotz allem war sie immer noch meine Feindin, auch wenn ich das nicht so ganz wahrhaben wollte. Sie war einfach zu hübsch, um der Feind zu sien.,

Raik
Ich drehte mich wieder um. "Nun, du bist ein Lebewesen wie jedes andere auch." meinte ich lediglich. "Die Ahnen würden es nicht gerne sehen, wenn ich jemanden Schlechtes tue, ohne ersichtlichen Grund. Du bist zwar in unserem Gebiet gewesen, doch es wäre unsinnig, den Rest ziehen zu lassen und dich zu töten. Seitdem hast du unser Gebiet nicht wieder betreten, also stellst du keine Bedrohung dar. Warum sollte ich dich dann wie eine behandeln?" stellte ich die Gegenfrage und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich war in dem Glauben großgeworden, dass alles Leben einen Wert hatte. Klar, mein Clan brachte seit Jahren ausgezeichnete Krieger hervor, doch wir kämpften nur dann, wenn wir bedroht wurden. Schon seit Jahren waren wir nicht auf Gebietserweiterungen aus, sondern einfach nur auf die Erhaltung der aktuellen Grenzen. Es waren bei weitem nicht alle damit einverstanden, doch solange Vater das Kommando hatte, würde das so bleiben.

Raik
Ich lächelte. "Ich denke, mein Vater würde das ähnlich sehen, immerhin hat er mich so erzogen." meinte ich. Klar, sie gehörte zu den Anderen, aber wer wusste schon, ob sie freiwillig dort war. Vielleicht hatten ihr einfach Alternativen gefehlt. "Versteh das aber nicht falsch. Solltest du unser Gebiet betreten oder einen der Meinen angreifen, sehe ich da auch keine Unterschiede mehr. Du bist nur der Feind, zu dem du dich selber machst." meinte ich, bevor ich mir wieder umwandte um zurück zu Takkar zu gehen. Doch ich blieb nochmal kurz stehen. "Nur weil wir im Krieg grausam sind, heißt das nicht, dass wir immer so sind. Jede Medaille hat zwei Seiten." sagte ich noch, bevor ich weiterging.